Form, Verwandlung und Bewegungsspur
Zu den Zeichnungen und Malereien Katharina Neuwegs
Katharina Neuweg arbeitet in einem Assoziationsfeld, das Erfahrungen des Körpers zum Inhalt hat: Grundlegende Erfahrungen, die eine geistige Präsenz gewinnen und zur Auseinandersetzung treiben. Dabei geht es um die Schwierigkeit, diesen Prozess motivisch zu fassen, zu konturieren, zu verdeutlichen, auf eine Weise zum Ausdruck zu bringen, die stimmig und erfüllend ist – nicht unbedingt im Sinne einer Klarstellung, eher eines Bildes, das sich überhaupt erst lesen lässt und damit Kommunikation ermöglicht.
Katharina Neuweg ist sich über die Herausforderung im Klaren, die eine so offen eingestellte Motivation zur bildnerischen Arbeit mit sich bringt. Sie weiß, dass gängige Erfolgsmodelle einer Werkgestaltung sie dabei nicht weiterbringen, und will sich auf kein derartiges einlassen. Beweglich vorzugehen ist ihr wichtig, mit einem großen Spielraum aus verfügbaren Mitteln und Formen. Gern bewegt sie sich in unterschiedlichen methodischen Räumen, die sie wechselweise ansteuert, aktiviert und miteinander verbindet. Zeichnend, malend, modellierend, fotografierend, schreibend und arrangierend, schafft sie Assoziationen, die als Bilder wirken.
Bei jeder neuen Arbeit steht die Frage nach der Form erneut im Raum – warum sie so gefasst sein muss und anders nicht. Diese Frage zu entscheiden, ist für Katharina Neuweg nur bedingt eine Sache planerischen Vorausdenkens. Sie lässt den Zufall mitwirken und steuert seine Wege, während sie geschehen. Längst schon spielen in der aktuellen Kunst Kategorien einer eindeutigen ästhetischen Festlegung nur noch eine temporäre und untergeordnete Rolle. Aus der schwankenden Verfasstheit der Gesellschaft wie des Selbst ergeben sich Fragestellungen, die ihre genuinen Motive hervorbringen. Diese gilt es auszumachen, adäquat zu formulieren und – vielleicht – zu relevanten Sinngebilden zu entwickeln.
Für Katharina Neuweg ist das Gefäß ein solches Motiv: Einfach, wie es scheint, an sich schon sinnbildhaft als Zeugnis einer kulturellen Konstante, die von weither kommt, aus den Anfängen menschlicher Gemeinschaft. Die Relevanz ergibt sich aber nicht nur daraus, dass es sich um etwas Bewährtes handelt, sondern ebenso aus der im Mythos wurzelnden Verwandtschaft von Gefäßen und Geschöpfen – den Lebewesen. In Neuwegs sehr verknappten Bildformulierungen ist diese alte Bedeutung aufgegriffen. Sie hat vielerlei Gefäßanordnungen studiert, sie immer wieder gezeichnet und aquarelliert. Die Gefäße nahmen dabei Charaktere an, begannen ein Verhalten zu bekunden – ähnlich, wie wir es aus den Stillleben Giorgio Morandis kennen. Neuwegs zeichnerischer Rhythmus wurde frei und ging in spielerisches Komponieren über. Dabei fügten sich die sprechenden Einzelformen immer mehr zu einem klingenden Ganzen.
Aber das Gefäßmotiv ist damit längst nicht ausgelotet. Auf Katharina Neuweg übt die Rolle von Gefäßen im sakralen Kontext eine große Anziehung aus. Der Bezug zur religiösen Opferpraxis, zur Symbolik von Verwandlung und Erlösung beschäftigt sie. Durch ein Studium älterer sakraler Bildwerke geht sie dem nach – darunter El Grecos „Die Anbetung der Heiligen Drei Könige“ im Museum Soumaya in Mexiko. In ihrem großformatigen Gemälde hat sie Züge dieser Komposition adaptiert. Was sie jedoch vor allem malerisch erprobte, ist das Mysterium der Substanzverwandlung, gleichsam am christlichen Inhalt vorbei. Ausgangspunkt ihres Erkundens scheint stattdessen die am eigenen Leib erfahrene körperliche Grundierung einer künstlerischen Idee zu sein. Es geht um Bildschöpfung aus dem Selbst heraus – und so lässt sie das malerische Szenario zwischen einem lediglich versuchsweisen Eintreten in die hergebrachte barocke Form und deren Annullierung in einem monochromen Fluidum schwanken.
Das Gelb vermittelt sich dabei symbolisch als ein warmer, strahlender Bereich, ein für Entscheidungen noch offener, kostbarer Energieträger. In den neueren Arbeiten auf Steinpapier zum Gefäß-Thema setzt Katharina Neuweg nun einzelne Gebilde groß und zeichenhaft ins Zentrum. Sie hat dabei Grundsätzliches im Blick, das mit der Manifestation von Form zusammenhängt – der Form als Existenzbeweis: Anfängliche Bildungen, entstanden aus Phänomenen des Eingrenzens und Sicherns. Was ist es, das durch Form verborgen wird, und was dagegen zeigt die Form vor? Die Malerei kann keine sichere Antwort darauf geben. Neuwegs farbige Gefüge schweben frei in dem durch den Papierfond suggerierten, lichten Raum, feinstofflich scheinbar, ohne festgelegten Aggregatzustand. Sie sind verführerisch als Spur, als Äußerung von Kraft. Die Botschaft liegt in dem, was noch nicht definiert ist.
Katrin Arrieta
(aus dem Katalog zur Ausstellung: Fünf Positionen der Gegenwart in Mecklenburg Vorpommern, ISBN: 978-3-945274-26-2, 2022)